Mittwoch, 3. Dezember 2014

Dortmund hat nur Pech

Billy Beane gilt als Urvater der Moneyball-Jahre im American Baseball. Wegen der finanziellen Lücke zu Großteams wie den Boston Red Sox, versuchte er mittels Sabermetrics unterbewertete Spieler zu identifizieren und diese zu werben. Der resultierende Erfolg und die dramaturgische Aufarbeitung im Film „Moneyball“ mit Brad Pitt, brachte diese Thematik schließlich auch nach Europa. Während American Football, Baseball und Eishockey seit Jahren eng mit allen möglichen Statistiken und Kennzahlen verwoben sind, steckt die statistische Aufarbeitung und Analyse des europäischen Fußballs noch in den Kinderschuhen. Richtig salonfähig wurden Kennziffern wie Ballbesitz oder Laufleistung erst seit der Zeit ab Guardiola. Dennoch müssen diese Werte zwecks Aussagekraft in Zukunft noch überarbeitet werden, was bringt einer Mannschaft auch 70 Prozent Ballbesitz, wenn der nur in der eigenen Hälfte stattfindet? Oder 92 Prozent erfolgreiche Pässe, wenn der Großteil nur horizontal zum anderen Innenverteidiger gespielt wird?

So wird natürlich versucht, nicht nur die Leistung eines einzelnen Spielers greifbar zu machen, sondern auch die einer gesamten Mannschaft. Natürlich, am Ende des Tages zählen nur die Punkte in der Tabelle. Doch stellt sich die berechtigte Frage: Spiegelt der Punktestand die tatsächliche Qualität einer Mannschaft wieder?

Erzielte Tore geben oft ein verzerrtes Bild über die Qualität zweier Mannschaften wieder. Besonders im Fußball spielt der Faktor Zufall eine größere Rolle als in oben genannten American Sports. Grund hierfür ist der geringere Spielfluss in jenen Sportarten. Aktionen im American Football beispielsweise, sind Standardsituationen im Fußball ähnlich. Es handelt sich um eine von der ballbesitzenden Mannschaft zuvor planbare Aktion, die im Training eingeschliffen werden kann. Schlägt die Aktion fehl, wird das Spiel mit einer neuerlichen einstudierten Variante fortgesetzt. Während im Fußball nach einer missglückten Eckballvariante der Konter läuft und ein Team trotz aller Überlegenheit in der 89. Minute das 0:1 fangen kann. James Grayson, ein kanadischer Statistiker, hat sich dem Thema gewidmet und im Eishockey schon lang bekannte Zahlen auf den Fußball adaptiert. Zwei wesentliche Gradmesser für die Qualität einer Mannschaft sind die Total Short Ratio (TSR) und die PDO. Letztere ist kein Akronym, sondern der Username ihres Erfinders, Brian King.

Total Shot Ratio & Expected Goals Ratio
Der optimalste Gradmesser für Qualität von Fußballmannschaften stellt folglich die Anzahl der Schüsse dar. Die TSR setzt eigene Schüsse in Relation zu den Schüssen beider Mannschaften eines Spiels.

TSR = shots / (shots + conceeded shots)

Liegt der Wert über 0,5, hat ein Team öfter geschossen als sein Gegner; beträgt der Wert 1, hat jenes Team alle Schüsse in einem Match abgefeuert. Plakativ könnte man nun natürlich sagen: Je mehr Schüsse, desto besser ein Team. Dem ist natürlich nicht so. Team A schießt achtmal aus Verzweiflung aus 30 Metern und erzeugt dabei kaum ähnliche Gefahr wie Team B, welches zwei herausgespielte Abschlüsse aus zehn Metern verzeichnet. Dennoch wäre die TSR für Team B nur 0,2. Also ist Schuss nicht gleich Schuss.

Statistiker haben hierfür wiederum die Expected Goal Ratio (ExpGR) entwickelt. Sie ordnet jedem Schuss einen qualitativen Wert zu. Abschlüsse vom Fünfer besitzen einen höheren Wert als Schüsse aus 30 Metern. Alle Werte werden nach Spielende summiert. Liegen die tatsächlich erzielten Tore einer Mannschaft über der ExpGR, ist das Team überdurchschnittlich effizient. Bleibt zum Abschluss nur noch die Frage: Wie ordne ich den Schüssen qualitative Werte zu? Statistiker haben hierfür komplexe Methoden. Eine Möglichkeit für den Laien stellt allerdings die TSR für den Strafraum dar. Eine Analyse von Martin Andermatt für die Euro 2012 hatte ergeben, dass 88 Prozent aller Tore innerhalb des Strafraumes erzielt wurden. Insofern werden die abgefeuerten Schüsse im Strafraum in Relation zu allen in einem Spiel im Strafraum durchgeführten Schüsse gesetzt, um die qualitativ hochwertigen Abschlüsse zu erfassen. Für die deutsche Bundesliga nach 13 Spieltagen ergibt sich folgendes Bild, die Ziffern in Klammer entsprechen dem aktuellen Tabellenrang:

Team TSR (16er)
Bayern (1) 0,778
Leverkusen (3) 0,653
BVB (18) 0,620
Wolfsburg (2) 0,583
Augsburg (4) 0,515
Frankfurt (9) 0,491
Hoffenheim (7) 0,490
Freiburg (15) 0,479
HSV (17) 0,476
Gladbach (5) 0,471
Paderborn (11) 0,468
Mainz (10) 0,457
Hertha (13) 0,455
Hannover (8) 0,445
Stuttgart (16) 0,440
Schalke (6) 0,424
Werder (14) 0,422
Köln (12) 0,314
 
Großteils stimmt die TSR mit der aktuellen Tabellenregionn überein. Krasser Ausreißer ist natürlich Borussia Dortmund. Die Schwarz-Gelbe stehen völlig überraschend am Tabellenende. Eine TSR (Strafraum) von 0,620 beweist aber, dass die Jungs von Jürgen Klopp gemessen ihrer Qualität ganz woanders stehen müssten. Die drittmeisten Torschüsse (das gesamte Feld betrachtet) abgegeben, die drittwenigsten Torschüsse zugelassen. Das große Manko ist allerdings die Verwertung. Nur 6,3 Prozent aller BVB-Schüsse landen im Netz. Nur der HSV ist noch schlechter; der Bundesliga-Mittelwert liegt bei 10,7 Prozent. Außerdem gehen lediglich 30 Prozent der BVB-Schüsse auf das Gehäuse. Auch hier ist nur der HSV und - welch Überraschung - Bayer Leverkusen noch schlechter. Die Bayer-Elf scheint jedoch mit Bellarabi und Son über mehr Qualität zu verfügen, was auch die Statistik beweist: 10,4 Prozent aller Leverkusener Schüsse landen im Netz. Auch Freiburg und Hamburg scheinen der TSR zu Folge über größeres Potenzial zu verfügen als es der Tabellenplatz erahnen lässt. Als große Schwachstelle der Rothosen werden die zugelassenen Schüsse im eigenen Torraum ausgewiesen. In jedem Bundesligaspiel darf der HSV-Gegner 1,31-mal vom Fünfer abziehen. Die gleiche Schwachstelle hat der VfB Stuttgart. Bei den Schwaben liegt dieser Wert sogar bei 1,395-mal.

PDO
Ob nun eine hohe TSR tatsächlich einen Tabellenplatz an der Sonne sichert, hängt natürlich davon ab, ob die Schüsse auch reingehen. Oder der Handschuh hinter einem auch mal einen Unhaltbaren fischt. Diese Ergebnisse fasst die PDO zusammen. Sie addiert den Prozentsatz verwandelter Torschüsse mit dem Prozentsatz gehaltener Schüsse. Aus ästhetischen Gründen wird die Summe mit 1000 multipliziert.

PDO = 1000 * (sh% + sv%)

Ein Torschuss kann zwei Ergebnisse haben: Tor oder gehalten. Der Mittelwert aller Aktionen ist 1. Ein kleines Beispiel stellt dies verständlich dar: In einer Saison wird insgesamt 750-mal auf das Tor geschossen (n=750). Davon werden 10 Prozent der Schüsse verwandelt ergo werden 90 Prozent pariert. Das Ergebnis beträgt 1 bzw. die PDO 1000. Je kleiner n jedoch ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die PDO größeren Schwankungen um 1000 unterliegt als bei größerem n. Dies besagt das Gesetz der großen Zahl und kann durch ein Praxisbeispiel verdeutlicht werden. Werfe ich eine faire Münze ist die Wahrscheinlichkeit für Kopf und Zahl jeweils 50 Prozent. Der Mittelwert ist demnach 0,5. Wenn ich die Münze nun zehnmal werfe, ist es aber nicht unwahrscheinlich, dass vielleicht nur zweimal Kopf kommt. Wenn die Münze erneut zehnmal geworfen wird, kommt vielleicht viermal Kopf. Insofern liegt der Mittelwert nach der zweiten Serie bereits bei 0,3 ( (0,2+0,4)/2). Je öfter die Münze geworfen wird, desto eher nähert sich der Mittelwert dem erwarteten Mittelwert von 0,5. Für die PDO lässt sich daraus ableiten, dass Leistungen von ≤980 und ≥1020 durch Zufall, Glück und Pech resultieren. Auf Grund des Gesetzes der großen Zahl kann die PDO kurzfristig aber sehrwohl gröberen Schwankungen unterliegen, wie dies folgende Tabelle zeigt. Diese normalisieren sich in der langen Frist (aber einer Saison) aber wieder gegen den Mittelwert.



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